Was wir wollen

Grundverständnis des WiER Ostfriesland

 1. Wie WiER die Welt sehen

Bevor unser Essen auf den Teller kommt haben die Lebensmittel meist eine weite Reise hinter sich. Was auf dem Teller liegt ist zudem mit Zusatzstoffen, Kunstaromen, Geschmacksverstärkern und Zucker angereichert. Man fragt sich zurecht, ob man Herr über den eigenen Teller ist.

Derartige Lebensmittel sind Produkte einer globalen Agrar- und Lebensmittelindustrie, deren unternehmerischer Profit nicht neben der Versorgungsaufgabe steht, sondern weit über ihr. Industrielle Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion befördern zudem den Klimawandel, die Abholzung der Wälder, die Zerstörung der Böden, die Wasserknappheit und den Verlust der Artenvielfalt. Wenige große Unternehmen der Agrarwirtschaft profitieren, während viele bäuerliche Betriebe und handwerkliche Verarbeiter aufgeben müssen.

Die ökologischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Folgen dieses globalisierten Wirtschaftssystems sind verheerend. Und die Folge dieser Art der Lebensmittelproduktion ist der Verlust von Lebensqualität in ländlichen Räumen einhergehend mit einer intensiven Veränderung der Kulturlandschaft. Zudem ist die globale Ernährungswirtschaft international verknüpft mit fast zwei Milliarden hungernder und fehlernährter Menschen und einem erheblichen Beitrag zur Klimakatastrophe.

Die Probleme des globalen Ernährungssystems führt uns auch die noch lange nicht überwundenen Corona-Krise schmerzhaft vor Augen: Wir hängen so stark von internationalen Lieferketten ab, dass die Versorgung mit wichtigen Gütern nicht gesichert ist. Aber auch die Fehler deutscher und europäischer Agrarpolitik mit ihrer Subventionierung und Fokussierung auf immer größere Produktionseinheiten werden offenbar. Plötzlich werden Großschlachthöfe zu Corona Hotspots und müssen zeitweise geschlossen werden.

Das Vorantreiben globaler Strukturen und das bewusste Sterbenlassen kleinteiligerer regionaler Strukturen sind die Kennzeichen einer Wirtschafts- und Ernährungspolitik, die sich nicht an der Lebensqualität der Menschen orientiert.

Zukünftig können wir weder im globalen noch im lokalen Bereich so weitermachen. Politik und Administration müssen konsequent für Rahmenbedingungen sorgen, die zu nachhaltigem Wirtschaften und einem zukunftsfähigen Ernährungssystem führen. Diese Aufgabe wird trotz der eindeutigen Erwartungshaltung von den Verbrauchern und bäuerlichen Produzenten nicht ergebnisorientiert angegangen.

2. Unsere Aufgabe

Notwendig im Sinne des Wortes ist eine grundsätzliche Veränderung: Eine Ernährungswende, die auf der Wertschätzung der Verbraucher für gutes Essen genauso basiert wie auf dem Bewusstsein darüber, wie Lebensmittel derzeit erzeugt werden und zukünftig erzeugt werden sollten. Sämtliche Betroffene und Akteure müssen sich ihrer Verantwortung stellen, unsere Ernährungswirtschaft enkeltauglich zu gestalten. Denn Produzenten und Verbraucher sind nicht nur Teil des Problems, sondern auch der Lösung.

Ein Systemwandel ist möglich und gewollt. Gutes Essen und gute Landwirtschaft gehören schon immer zusammen.

Für die Änderung der Verhältnisse ist allerdings ein gutes Verhältnis der Akteure grundlegend. Grundlegend ist auch die Erkenntnis, dass die Verantwortung für eine zukunftsfähige Ernährungsweise nicht allein bei Produzenten, Handel und Konsumenten liegt, sondern auch bei Politik und Administration. Letztere zeigen aber auf allen Ebenen wenig Engagement für eine notwendige Ernährungswende. So ist es an den zivilgesellschaftlichen Initiativen, den Wandel zu herbeizuführen. 

Punktuell und mit teils untergeordneter Bedeutung hat dies in vielen Initiativen bereits begonnen. Für eine gelingende Ernährungswende müssen jedoch nicht nur die die lokalen und regionalen Handlungsoptionen koordiniert und genutzt werden. Das gesamte Ernährungssystem, von der Erzeugung bis zur Entsorgung, muss im regionalen Maßstab betrachtet werden. Dass eine optimal regionalisierte Lebensmittelversorgung auch funktionierende Wertschöpfungskreisläufe und Infrastrukturen erfordert ist evident.

Es versteht sich auch von selbst, dass eine Ernährungswende, die Schaffung nachhaltiger Strukturen der Produktion, der Verteilung, des Konsums sowie der Entsorgung und Wiederverwertung nur mit Beteiligung aller Stufen der Wertschöpfung gelingen kann, insbesondere nur zusammen mit einer Agrarwende.  

Die bestehenden planerischen und entwicklungspolitischen Instrumente sollen auch die Belange der Lebensmittelerzeugung und Verteilung berücksichtigen, auch und gerade für die Region Ostfriesland. Die Versorgung mit gesunden Lebensmitteln muss zukünftig eine vorrangige Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge sein, bei der auch die Regionen ihre bedeutende Rolle bei der Schaffung einer nachhaltigen Lebensmittelversorgung spielen.

Für die Diskussion konkreter Zielsetzungen einer lokalen und regionalen Ernährungspolitik, für die Erarbeitung von Handlungsprogrammen und konkreten Projekten und für deren Umsetzung sind Ernährungsräte ein gutes Instrument. Um in diesem Sinne für zivilgesellschaftliche Initiativen auf regionaler Ebene eine Aktionsfläche zu schaffen wurde der Verein WiER e.V. gegründet.

Der Zweck des Vereines ist es, in Ostfriesland

  • den Themen Wirtschaft und Ernährung und den damit zusammenhängenden Fragen zu Gesundheit von Mensch und Tier, Umwelt- und Klimaschutz, Regionalität und Saisonalität,
  • den korrelierenden sozialen, ökologischen und Aspekten sowie
  • dem Umfeld des wirtschaftlichen Handelns

zu mehr öffentlicher Aufmerksamkeit und politischem Gewicht zu verhelfen.

Der WiER Ostfriesland will unter regionalen Aspekten insbesondere Projekte initiieren und zur Bewusstseinsbildung für die Entwicklung einer Wirtschafts- und Ernährungsregion Ostfriesland beitragen.

WIER bietet eine Plattform, auf der Verbraucher, Händler und Produzenten die Ernährung auf lokaler und regionaler Ebene beeinflussen können. Konsumenten, lokale Akteure der Lebensmittelversorgung, Landwirte und andere Erzeuger sowie Vertreter von Interessengruppen, Aktivisten und Vertreter kommunaler Verwaltungen arbeiten zusammen, um gemeinsam die lokale Versorgung mit Lebensmitteln auf soziale und ökologisch nachhaltige Weise zu beeinflussen. Um neue Lösungen und lokale Handlungsansätze für eine lokale Ernährungspolitik zu finden, braucht es die Kreativität und das Wissen möglichst vieler Akteure aus dem Ernährungssystem von Landwirten bis Verbraucher. 

Die von WiER e.V. zu organisierende Plattform bildet den eigentlichen Wirtschafts- und Ernährungsrat Ostfriesland (WiER Ostfriesland). Diese Plattform ermöglicht den Austausch und die Vernetzung der Akteure im regionalen Ernährungssystem. Dadurch sollen die eigentlichen Interessen von Verbrauchern und Akteuren aus den Bereichen Wirtschaft, Ernährung, Wissenschaft, Politik, Verbänden, Vereinen, Bildungseinrichtungen und öffentlichen Einrichtungen projektbezogen gebündelt und vertreten werden.

Ziel aller zu vernetzenden Aktivitäten ist die Initiierung einer ‚Ernährungsregion Ostfriesland‘ in der auf allen Wertschöpfungsstufen eine nachhaltige Ernährungswirtschaft und ein entsprechendes Verbraucherverhalten realisiert werden. Das umfasst eine nachhaltige Agrarproduktion und deren weitest gehende regionale Verarbeitung. Um dafür eine wirtschaftliche Grundlage zu garantieren müssen die Vermarktung, der Lebensmittelhandel und die Konsumenten die landwirtschaftliche Produktion und das Lebensmittelhandwerk als Voraussetzung für eine nachhaltige Ernährung wertschätzen und die Ernährungswende auch persönlich realisieren.

Die „Ernährungsregion Ostfriesland“ muss regional gefordert sein, sie bedarf jedoch auch der staatlichen Regulierung und Förderung. Förderprogramme und Fördermaßnahmen müssen die Agrar- und Ernährungswende in Ostfriesland ermöglichen und gezielt und wirksam unterstützen. Dies gilt zuerst für die Landwirtschaft, in gleicher Weise aber auch für das Lebensmittelhandwerk und den Dienstleistungsbereich. Für den ländlichen Bereich ist zudem eine leistungsfähige IT-Infrastruktur eine wesentliche Entwicklungsvoraussetzung. Ein derartiges Verbundsystem bildet die Basis und den Rahmen für eine wirksame nachhaltige Entwicklung.

Die Förderung der Landwirtschaft in der „Ernährungsregion Ostfriesland“ muss darauf gerichtet werden, dem nachhaltig wirtschaftenden Landwirt einen guten und auskömmlichen Lebensstandard zu ermöglichen. Entsprechendes muss auch für Neben- und Zuerwerbsbetriebe gelten. Einzubeziehen ist zudem die Schaffung innerbetrieblicher und betriebsnaher Wirtschaftsbereiche. 

Das Ernährungshandwerk, das auf die Qualität und Vielfalt der landwirtschaftlichen Rohstoffbasis angewiesen ist, bedarf als wesentlicher Bereich der regionalen Wertschöpfungskette eine Erneuerung der Zusammenarbeit mit Lieferanten und Kunden. Auch dieser Bereich bedarf besonderer staatlicher und standesorganisatorischer Förderung.

Letztlich wird die „Ernährungsregion Ostfriesland“ durch die Haltung des staatlichen und kommunalen Bereichs und das Verhalten der Bürgerinnen und Verbraucher realisiert. Dies gilt in besonderer Weise für das Konsumverhalten privater Haushalte wie auch für Gemeinschaftsverpflegungen und die Ernährungsbildung.

Die „Ernährungsregion Ostfriesland“ konzeptionell zu beschreiben, als öffentlich gefordertes Projekt zu etablieren und eine zielgerichtete Förderung zu erreichen ist das große Ziel von WiER.

Dazu gehört zuerst, mit Produzenten, Vermarktern und sonstigen Anbietern regionaler kulinarischer Produkte und Leistungen, die den nachhaltigen Ansprüchen genügen, zusammen zu arbeiten und diese zu unterstützen.

3. Unsere Werte:

WiER versteht sich als Teil einer aufkommenden Bewegung, die die soziale Marktwirtschaft zu einer nachhaltigen Marktwirtschaft weiterentwickeln will. Dies hat so zu geschehen, dass in der Gegenwart die Bedürfnisse nicht befriedigt werden ohne zu gewährleisten, dass auch künftige Generationen ihre Bedürfnisse befriedigen können. Damit muss auch die Nachhaltigkeitsqualität von Lebensmitteln und der Ernährungskultur gegeben sein.  

WiER tritt ein für:

  • Eine gesunde, nachhaltige und bedarfsorientierte Ernährungsweise, die geprägt ist von Kenntnis und Selbstbestimmung der Konsumenten.
  • Eine qualitätsorientierte Lebensmittelverarbeitung.
  • Respekt für das gewachsene Handwerk in der Lebensmittelwirtschaft und in der Regionalwirtschaft.
  • Die Vermeidung und Verhinderung sozialer Benachteiligungen im Wirtschafts- und Ernährungssystem. Z.B. sind Landwirte und Erntehelfer, die Beschäftigten in Verarbeitung und Transport so zu entlohnen, dass sie mit ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt bzw. das Bestehen des Betriebes sichern können.
  • Die größtmögliche Regionalisierung des Wirtschafts- und Ernährungssystems durch eine weitestgehende nahräumliche Versorgung
  • Eine zukunftsfähige, regionale Landwirtschaft, geprägt von der Achtsamkeit im Umgang mit Boden, Wasser und Pflanzen sowie einer tier- und artgerechten Nutztierhaltung,
  • Die systematische Förderung einer Landwirtschaft die nachhaltig produziert, verarbeitet und vermarktet.
  • Eine Förderstruktur mit einer gezielten nachhaltigen Projektförderung. Wir müssen weg von der bestehenden innovationsfeindlichen Förderstruktur der „Gießkannen“.
  • Gute regionale Beziehungen zwischen Konsumenten und Produzenten.
  • Den Erhalt einer lebendigen ostfriesischen Siedlungskultur.
  • Ein transparentes Ernährungssystem, in dem die Kenntnis aller Aspekte dessen Beurteilung ermöglicht.
  • Einen lokal und regional getragenen Arbeitsprozess der Plattform WiER, der das Wissen und das Verständnis der Beteiligten fördert und verbessert.

WiER wollen auch soziale Verhaltensregeln beachtet wissen. Für die Zusammenarbeit auf der Plattform legen WiER Wert auf eine sachliche und ergebnisorientierte Diskussion. Von den sozialen Kompetenzen die WiER erwarten kommen dem Respekt anderen gegenüber und der Vorurteilsfreiheit besondere Bedeutung zu.

4. Unsere Strategie

Erstes Etappenziel der Ernährungswende muss darin bestehen, den Verbrauchern und den Produzenten die Wahl zu lassen, besser gesagt: zu ermöglichen. Dazu muss die Wettbewerbsfähigkeit einer nachhaltigen Lebensmittelversorgung zumindest soweit verbessert werden, dass auch die indirekten, nicht vom Verbraucher über den Produktpreis zu tragenden Kosten bei Erzeugung, Transport und Vermarktung erkennbar werden. Selbst wenn dabei die ökologischen, die sozialen und die Aspekte der Versorgungssicherheit nicht konkret bepreist werden können, hat die Corona-Krise doch gezeigt, dass diese Probleme zumindest bewertet werden können.

Die Zusammenführung Betroffener unter die Findung geeigneter Themen und Projekte erfordern einen besonderen Umgang miteinander. Dabei gilt es, die Zusammenarbeit auf der Plattform als einen wechselseitigen Lernprozess zu verstehen und zu etablieren. Der Organisation und Erprobung geeigneter Formen, die zu gemeinsamen Handlungsorientierungen und Haltungen führen, kommt daher grundlegende Bedeutung zu.

Einige Institutionen, Strukturen und `Leuchttürme‘ haben bereits Schneisen für den Weg der Ernährungs- und Agrarwende geschlagen.  Diese gilt es zu vernetzen und zu stärken. Selbst kurzfristig brauchen wir mehr Versorgungssouveränität durch eine geeignete Unterstützung kleinteiligerer regionaler Strukturen. Die Stärkung der Betriebe, die nachhaltig und mit hoher Qualität arbeiten und dabei in ihrer Arbeit ein großes Gewicht auf die Wertschöpfung aus der eigenen Region und für die eigene Region legen, ist der richtige Weg.

Ein zentrales Anliegen und bedeutender Erfolgsfaktor ist die Ernährungsbildung. Ernährungsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten müssen mit langfristiger Perspektive erworben werden. Dies gilt zuerst für die häusliche Ernährung wie auch für alle Formen der Gemeinschaftsverpflegung, wie z.B. der Schulverpflegung. Nur so können die Tücken des Einkaufens und Kochens umschifft werden. So kann es gelingen wieder „Herr“ über den eigenen Teller werden.